Web-2.0-Angebote, wie Facebook und Wikipedia, haben sich im privaten Umfeld bereits etabliert. Die Technologie hinter diesen Social Networks und Plattformen setzen nun auch immer mehr Unternehmen ein: zur firmeninternen und -externen Kommunikation, Dokumentation oder Kollaboration. Dafür hat sich der Begriff „Enterprise 2.0“ durchgesetzt, dessen Werkzeug Social-Business-Software ist. Unternehmensinterne Blogs, Wikis, Foren etc. haben zahlreiche Vorteile, die nicht nur große Unternehmen erkannt haben.
1. Warum Social-Media-Technologien?
Etablierte Kommunikationskanäle haben viele Schwächen. So richtet sich die übliche E-Mail nur an einen begrenzten Adressatenkreis. Nicht selten empfinden die Beschäftigten die Kommunikation über E-Mail als Informationsüberflutung, die nur noch schwer zu bewältigen ist. Ein weiteres Defizit: Traditionelle Instrumente, wie Intranet, Unternehmenswebseiten und interne Informationsportale, enthalten nur Inhalte, die von ausgewählten Mitarbeitern produziert, selektiert und autorisiert werden – es findet bewusst keine Kommunikation mit den Arbeitnehmern statt. Diese Unternehmensplattformen sammeln nur einen kleinen Teil der im Betrieb produzierten Inhalte und Dokumente.
„Zudem findet bei großen Unternehmen der Informationsaustausch häufig vorwiegend innerhalb von Unternehmensbereichen oder Abteilungen statt“, berichtet Dr. Antje Stobbe, Leiterin Digitale Ökonomie bei Deutsche Bank Research. „Und weil die Daten lokal gespeichert werden, sind sie nur einem begrenzten Nutzerkreis zugänglich. Diese Systeme sind daher oft intransparent.“ Zentraler Nachteil dieser Art der Dokumentation: Das Wissen wird nicht wirksam verdichtet. Das Ergebnis: Knowhow wird vergeudet, denn es schläft in zahlreichen Unterordnern auf den Rechnern verschiedener Mitarbeiter vor sich hin.
Social-Business-Software ermöglicht hingegen eine vernetzte Kommunikation und Dokumentation. Unternehmen, die bereits Web-2.0-Technologien einsetzen, verfolgen laut Deutsche Bank Research folgende Ziele:
› Beteiligung der Mitarbeiter durch Bereitstellung von Inhalten,
› Vernetzung der Beschäftigten,
› höhere Transparenz, in dem dialogische Informationsflüsse sichtbar und nachvollziehbar werden,
› Strukturieren von Inhalten und weniger Komplexität,
› Einrichten einer zentralen Suchfunktion,
› Archivierung der Einträge und
› ein selbstbestimmtes Informationsmanagement der Mitarbeiter.
2. Umsatzsteigerungen
Der stärkste Treiber für den betriebsinternen Einsatz von Web-2.0-Technologien ist die enorme Beschleunigung des internen Wissenstransfers. Das ergab eine Studie von McKinsey, in der 2010 weltweit mehr als 3.000 Unternehmen über alle wichtigen Branchen hinweg befragt wurden, wie stark und auf welchen Gebieten sie Social-Media-Technologien nutzen. Darüber hinaus zeigte sich, dass diese Netzwerk-Tools dazu beitragen, die operativen Kosten zu senken, bspw. durch sinkende Kommunikationskosten:
› Zwei Drittel gaben an, der Wissenstransfer innerhalb des Unternehmens laufe mit Social-Media-Tools um 30 % schneller ab.
› Mehr als die Hälfte der Enterprises 2.0 verbuchen einen schnelleren Informations- und Wissensaustausch mit Lieferanten und Partnern sowie durchschnittlich um 20 % geringere Kommunikationskosten.
› Die Mehrzahl der Social-Media-Vorreiter berichtete zudem von einem effektiveren Marketing sowie von Umsatzsteigerungen um bis zu 10 %.
Karel Dörner, Principal bei McKinsey: „Trotz dieser Vorteile bildet der unternehmensinterne Wissensaustausch hierzulande derzeit nach wie vor das kleinste Anwendungsfeld von Social Media.“ In einer aktuellen Umfrage hat McKinsey kürzlich ermittelt, dass nur ein Drittel der deutschen Unternehmen die Kommunikation unter den Mitarbeitern mit Wikis, Blogs oder fachlichen Diskussionsforen fördert.
3. Beispiele aus der Praxis
Ersetzen oder ergänzen Unternehmen bisherige Kommunikations- und Arbeitsabläufe durch Projektplattformen, Wikis, Blogs, RSS-Feeds, Microblogging u. a., erfolgt die Wissensdokumentation strukturierter; die Kommunikation ist schneller und effektiver. Die Gründe: „Das interne soziale Netzwerk erreicht einen großen Teil der Arbeitnehmer. Das kollektive Wissen wird aktiviert und dadurch fruchtbar gemacht. Die Expertensuche, der Austausch über Best Practice und anderes gelingt derart einfach nicht mit den üblichen Methoden, wie Anruf oder Mail“, erläutert Michael Wegscheider, Projektleiter „Enterprise 2.0“ bei der Allianz Deutschland.
Er beschreibt, dass darüber hinaus gerade bei Projekt- oder Teamarbeit kurze schnelle Abstimmungen in das interne soziale Netzwerk verlagert werden können. Mitarbeiter müssten sich nicht an Mailverteilern abarbeiten oder Meetings einberufen – kurzum: Abstimmungsprozesse laufen einfacher, geschmeidiger und zügiger ab. Der Einsatz von Themen- oder Projekt-Wikis, in denen Informationen abgelegt werden, auf die jeder zugreifen kann, vermeide Doppelarbeiten und in der Folge würden Unternehmen produktiver.
Beispiele
Die Siemens AG hat die Expertensuche und die Suche nach Lösungsansätzen für spezielle Probleme, die in Sekundenschnelle recherchiert werden können, auf eine ihrer drei globalen Plattformen verlegt. „Das Herzstück des ‚TechnoWebs‘ ist der ‚Urgent Request‘, der eine dringende Problemstellung automatisch an all jene Beschäftigten verteilt, bei denen eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit besteht, helfen zu können“, so Siemens-Sprecher David Hagenauer. Das Tool stehe nicht nur dem Technologiebereich, sondern auch allen anderen Bereichen, wie dem kaufmännischen und der Vertriebslinie, zur Verfügung. Rasch wachsende Anwenderzahlen und weit über 1.000 Netzwerke würden die Akzeptanz bei den Mitarbeitern belegen. „Der unmittelbare Nutzen wird nicht mehr angezweifelt.“
Die Otto Group hat vor rund zwei Jahren eine konzernweite Kommunikations- und Interaktionsplattform für ihre rund 120 Unternehmen weltweit ans Laufen gebracht. Die Ziele u. a.: Wissen zu erfassen und zu übermitteln sowie Kosten zu sparen durch schnelle und unmittelbare Kommunikation. Inzwischen hat sich gezeigt, dass die direkte Kollaboration in Arbeitsgruppen am intensivsten genutzt wird. Thomas Voigt, Direktor Wirtschaftspolitik und Kommunikation: „Die Kommunikation in Ist-Zeit – auch zwischen mehr als 100 Projektteilnehmern – erleichtert die Zusammenarbeit enorm. Die Arbeitnehmer schätzen, dass die typischen Mailanhänge wegfallen, und sie unmittelbar und direkt miteinander arbeiten können.“ Am schwierigsten sei es noch für die Mitarbeiter, ein Social-Profil einzustellen und aktiv damit umzugehen. „Die Vernetzung über berufliche Themen fällt derzeit noch schwerer als im privaten Bereich.“
4. Die Mitarbeiter mitnehmen
Die Ziele von Enterprise 2.0, Wissen und Potenziale firmen- und hierarchieübergreifend zu erfassen und jedem zur Verfügung zu stellen, lassen sich nur dann erreichen, wenn die Beschäftigten „mitspielen“ und die Unternehmenskultur es zulässt. Der Weg vom Silo-Wissen hin zur unmittelbaren und direkten Vernetzung funktioniert nicht ohne Weiteres, nur weil die technischen Möglichkeiten zur Verfügung stehen.
Während die sog. Digital Natives von ihren Arbeitgebern erwarten, dass diese Social-Media-Technologien einsetzen und ganz selbstverständlich damit arbeiten, gilt es, weniger IT-affine Mitarbeiter dahingehend zu motivieren. Aber selbst die jüngere „Web-2.0-Generation“ – sofern sie nicht zu den innovationsfreudigen Frühanwendern gehört – zeigt zunächst zurückhaltenden Respekt vor der unternehmensinternen Vernetzung. Typische Fragen sind:
› Ist es wirklich gewollt, dass ich meine Kommentare einbringe?
› Wie weit darf eine offene Kommunikation gehen; darf ich Kritik üben?
› Falle ich auf, weil meine Beiträge nicht relevant sind?
› Will mein Vorgesetzter wirklich, dass ich mich in der Arbeitszeit damit beschäftige?
› Was sagen die Kollegen zu meiner aktiven Beteiligung?
› Wird meine Arbeit da durch kontrolliert?
› Warum soll ich das zusätzlich machen?Die Antwort darauf ist sehr entscheidend für den Erfolg des Tools, betont Michael Wegscheider, Allianz Deutschland. „Das neue Instrument ersetzt Abläufe und erleichtert dem Einzelnen das Arbeiten. Es soll kein zusätzliches Kommunikationstool eingesetzt werden, sondern es geht um die Frage, welche Präsenzen, Mails, Downloads etc. man durch die Kollaboration in die Plattform verlagern kann. Mit anderen Worten: Welche bisherigen Prozesse können durch die Zusammenarbeit im internen Netzwerk ersetzt werden?“
Praxistipp
Doch damit das Bewerten, Kommentieren, Archivieren und die Kollaboration im internen Netz funktioniert, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein:
› Zum einen sollten Arbeitgeber die Beschäftigten darüber aufklären, warum sie die neue „2.0-Vernetzung“ einführen, um sie dann zu mobilisieren und zu motivieren.
› Zum anderen ist die Schulung von Mitarbeitern und Führungskräften im Umgang mit den neuen Kommunikations- und Dokumentationsinstrumenten notwendig. Großunternehmen starten i. d. R. mit Pilotprojekten, bevor sie in den Rollout für die gesamte Belegschaft gehen. Häufig entscheiden sie sich für große Einführungskampagnen mit Workshops über den Gebrauch und Umgang mit den neuen Tools.
5. Unternehmenskultur und Enterprise 2.0
Eine weitere Voraussetzung, damit das vernetzte Unternehmen gelingt, ist das Vorleben der offenen, vernetzten Kommunikation durch das Management. Enterprise 2.0 verändert die Unternehmenskultur: Aus einer direktionalen Kommunikation wird eine bidirektionale. Vorgesetzte erleben neue Möglichkeiten, mit Mitarbeitern zu kommunizieren, sie zu führen, Aufgaben zu verteilen oder Arbeitsprozesse abzuwickeln. Arbeitnehmer können direkt mit Führungskräften weiter oben in der Hierarchie in Kontakt kommen. Transparenz über Führungsebenen hinweg ist die Folge.
Wichtig
Dies ist eine neue Herausforderung für Führungskräfte: Sie müssen lernen, wie sie Social Media in ihre tägliche Arbeit einbauen und bereit sein, sich einer offenen Kommunikation zu stellen und in Diskussionen einzuschalten.
Die Rolle der Führungskräfte liegt aber nicht nur in ihrer Vorbildfunktion. „Enterprise 2.0 greift in die generellen Informations- und Kommunikationsprozesse und somit in Führungsprozesse im Unternehmen ein“, betont Professor Wolfgang Jäger, Mitherausgeber des Buchs „Enterprise 2.0 – die digitale Revolution der Unternehmenskultur“. Führung mit Social- Media-Technologie werde damit zu einer großen Herausforderung, bei der die Prämisse laute: Kontrolle aufgeben, Führung behalten.
6. Return on Invest
Wie lässt sich der Return on Invest (ROI) von Web-2.0-Kommunikation und Kollaboration messen? Arbeitgeber sollten in der Lage sein, alle Effekte von Social Media in ihrer Gesamtheit zu ermitteln und nachzuweisen. „Doch das ist Theorie – in der Praxis ist eher Überzeugung als nachgewiesener Effekt die treibende Kraft“, so Karel Dörner von McKinsey.
In einer Studie zum Status von Social Media in Deutschland („Turning Buzz into Gold“) kommt er zu dem Ergebnis, 60 % aller Unternehmen würden sich noch nicht in der Lage sehen, den Effekt von Social Media adäquat zu messen. Dafür fehlten heute oft noch Kennzahlen, Zielwerte und Messungen, die erst noch entwickelt werden müssten.
Manche Unternehmen sprechen aber jetzt schon von sehr deutlichen Produktivitätsverbesserungen. Andere berechnen den ROI an den eingesparten Kosten von Flügen, Wegezeiten, Konferenzen, Telekommunikationskosten usw.
Praxistipp
Unternehmen, die Social Media intern einsetzen wollen, empfiehlt Karel Dörner einige Erfolgsregeln:
Sie sollten sich selbst aktiv an den Diskussionen beteiligen, um ein Gespür zu entwickeln, wie und in welcher Intensität Mitarbeiter die neuen Plattformen nutzen.
› Ebenso sei darauf zu achten, dass die internen Social-Media-Aktivitäten eng mit ihrer übergreifenden Unternehmensstrategie verzahnt sind. Alle Unternehmensbereiche müssten in den internen Austausch einbezogen werden.
7. Ausblick und Fazit
Die Bedeutung der E-Mail nimmt immer weiter ab, stattdessen wird sie durch Workgroups in Ist-Zeit-basierter Kommunikation und Bewegtbild ersetzt. Doch sterben die hergebrachten innerbetrieblichen Kommunikations- und Dokumentationsformen aus? Professor Wolfgang Jäger: „Nein aussterben werden ‚Outlook & Co‘ sicherlich nicht. Aber die ‚neuen‘ sozialen und mobilen Informations- und Kommunikationstechnologien ergänzen oder ersetzen mancherorts die traditionellen Formen der Zusammenarbeit. Vor allem weil sich das Kommunikationsverhalten in Unternehmen verändert.“
Mitarbeiter verlangen immer öfter ein vernetztes Arbeiten, eine offenere Kommunikation sowie einen breiten Wissensaustausch – also das, was als kollaboratives Arbeiten bezeichnet wird. „Diese Art der Zusammenarbeit wird erst über den Einsatz von Web-2.0-Technologien möglich, die nicht nur eine Forderung der sog. Generation Y ist“, so Jäger.
Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht, 11/2012
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