Bevor zum Beispiel die Milch als verzehrfertiger Jogurt im Becher landet, sind viele Hände und Maschinen am Werk. Stephan Becker-Sonnenschein, Geschäftsführer des Vereins „Die Lebensmittelwirtschaft“ über Berufe der Branche. – See more at: http://www.agrajo.com/lebensmittelwirtschaft

Frage: Mehr als 13 Prozent der Ausbildungsstellen in der Lebensmittelindustrie sind nicht besetzt. Sind die Berufsbilder eigentlich bekannt?

Becker-Sonnenschein: Obwohl jeder mehrmals täglich isst, machen sich viele junge Menschen keine Gedanken darüber, wie aus dem Rohstoff ein Lebensmittel wird. Im Supermarkt hat man es ja überwiegend mit dem fertigen Endprodukt zu tun. Was davor geschieht, ist einfach nicht klar. Wie aufwendig die Logistik ist, um Kühlketten einzuhalten und ständige Verfügbarkeit zu garantieren, wissen nur wenige. Noch unbekannter ist, wie wichtig und anspruchsvoll die Lebensmittelproduktion ist. Und wer nicht weiß, wie etwas geschieht, kann sich kaum dafür interessieren. Dass ein Auto montiert werden muss, ist klar. Aber auch die Fertigpizza wächst nicht auf den Bäumen, sondern wird von hochmodernen Maschinen in einem umfassenden Prozess hergestellt.

Frage: Was sind die Aufgaben der Fachkräfte?

Becker-Sonnenschein: Sie kümmern sich um die Maschinen, Mischungen, die Qualitätssicherung und die Produktentwicklung insgesamt. Es dreht sich immer um die Frage, wie Rohprodukte über die Veredlung und Herstellung haltbar, transportfähig und schmackhaft gemacht werden können. Ohne lebensmitteltechnische Assistenten, Brauer, Mälzer, Müller, Laboranten aber auch Elektroniker, Maschinen- und Anlagenführer, Industriekaufleute, Lebensmittelchemiker und -techniker können die Nahrungsmittel der Bevölkerung nicht zugänglich gemacht werden. Die Lebensmitteltechniker sorgen dafür, dass die Rezepturen und Produkte so beschaffen sind, dass ihre Haltbarkeit gewährleistet wird. Bei den Rezepturen ist auch eine genaue Kenntnis der Produkte wichtig. Rohwaren schmecken unterschiedlich. Hier ist es Aufgabe des Technikers, die Produkte so zusammenzustellen, dass das Vertrauen des Verbrauchers in eine bestimmte Geschmacksrichtung nicht enttäuscht wird. Die Erwartungen der Kunden sind hier enorm hoch. Deshalb sind das alles spannende und wichtige Aufgaben.

Frage: Welchen Stellenwert hat die industrielle Produktion von Lebensmitteln?

Becker-Sonnenschein: Dass sich die Lebensmittelwirtschaft in den letzten Jahrzehnten von der individuellen Herstellung zur industriellen Produktion verändert hat, hat viele Gründe. Der erste Grund ist ein Wandel unserer Gesellschaft. Nicht jeder kann und will sich mit Lebensmittelproduktion beschäftigen. Unsere Gesellschaft basiert auf Arbeitsteilung. Man delegiert die Herstellung der Lebensmittel an Dritte, um selbst als Manager, Journalist, Krankenpfleger arbeiten zu können.

Der zweite Grund liegt im Preis und der Verfügbarkeit. Die Lebensmittelveredelung durch die Hersteller ist eine Errungenschaft für eine Gesellschaft, die den Anspruch hat, jederzeit und zu einem bezahlbaren Preis auf alle Nahrungsmittel zugreifen zu können, ob Erbsen im Winter oder täglich frische Milch in jedem städtischen Haushalt. Alles per Hand herzustellen, ist zwar im Prinzip machbar, aber kaum zu bezahlen. Maschinen helfen dabei, günstig zu produzieren. So kann sich jeder Verbraucher Lebensmittel leisten. Wir werden auch immer mehr Menschen auf der Erdkugel, da ist es unsere Pflicht, für alle ein Angebot zu ermöglichen.

Drittens ist die industrielle Herstellung auch ein Gewinn, weil sie keimfrei und hygienisch an Maschinen erfolgt. Die heutige Lebensmittelsicherheit ist hervorragend. Und nicht zuletzt schafft es die Lebensmittelindustrie, dass der Nährwert der Nahrungsmittel bei der Herstellung erhalten bleibt und sogar gezielt den Bedarfen bei Nahrungsdefiziten angepasst werden kann. Also ein spannendes Feld für Menschen, die in der Produktion arbeiten wollen.

Frage: Welche Perspektiven bietet die Branche?
Becker-Sonnenschein: Wir haben es mit einer enorm dynamischen Branche zu tun. Sie ist krisenfest, denn wir werden immer mehr Menschen. Jedes Jahr kommen neue Produktideen auf den Markt. Ob wir den Burger aus gezüchteten Fleischfasern als Beispiel nehmen, 3D-Drucker in der Pasta- und Süßwarenverarbeitung oder Forschungen im Bereich der Lebensmittelsicherheit. Und die Kunden setzen weiterhin auf Genuss und Service. Die Lebensmittelwirtschaft muss Lösungen finden, die Haltbarkeit der Rohstoffe zu verlängern, sie muss die vorhandenen Bodenerträge steigern, um eine größere Anzahl von Menschen ganzjährig zu ernähren. Dabei besteht die Kunst darin, den Trend zu mehr physikalischen Verfahren mit den bekannten chemischen Verfahren zu kombinieren. Hier sind die Lebensmitteltechniker besonders gefordert, da es gesellschaftlich den Wunsch gibt, Zusatz- und Ersatzstoffe auf möglichst natürlichen Ursprung auszurichten.

Christiane Sieman
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